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Gutes aus Klöstern
Die Benediktiner im Kloster St. Martin zu Beuron
Ein Flüßchen oder gar nur stärkerer Bach begleitet die Bahnstrecke von Sigmaringen gen Westen, und dieses unscheinbare Gewässer, das man allenfalls mit Paddelbooten befahren kann, das ist der erste Abschnitt der stolzen und berühmten Donau, jenes Flusses, der Mittel- und Südosteuropa verbindet, des europäischen Flusses schlechthin. Das schwäbische Donautal ist malerisch, lädt zum Wandern ein und zum Entdecken einer uralten Kulturlandschaft, in der die Zeit ein wenig stehengeblieben scheint.
Und während man aus dem Fenster der Regionalbahn schaut, noch immer mit dem imposanten Eindruck des Sigmaringer Schlosses vor den geistigen Augen, taucht nach einigen Kilometern ein Bahnhof auf an einer Stelle, an der man ihn kaum vermutet hätte: Station Beuron. Und an dieser besonders abgelegenen Stelle des Donautals befindet sich ein Kloster, das in der Geschichte des benediktinischen Mönchtums einen ganz besonderen Klang hat: die Erzabtei St. Martin. Ein Kloster mit eigenem Bahnhof also, denn außer dem weitläufigen Klosterkomplex entdeckt man nur wenige andere Häuser in diesem Weiler.
Auf alten Fotografien kann man sehen, daß es vor hundert Jahren dort noch einsamer war, aber auch gemessen an heutigen Begriffen von Einsamkeit und Abgelegenheit erreicht Beuron auf einer fiktiven Skala von 1 bis 10 sicherlich einen Wert zwischen 8 und 9. Ein berühmtes Kloster an einem berühmten Fluß, das ist die Erzabtei Beuron, jener Ort, von dem Klostergärtnermeister Bruder Felix mit Überzeugung sagt, es sei ein Privileg, dort zu leben. Die Landschaft gibt ihm jedenfalls schon einmal recht, die Stille ringsum, die bewaldeten Felsen, und auch das Ensemble der Klostergebäude selbst, die Kirche.
Eine lange Geschichte bis zum Neubeginn
Gemessen an der Zeit, die bereits Mönche an dieser Stelle leben, sind die Benediktiner noch nicht allzulange dort. Erst 1863 konnten sie sich in Beuron ansiedeln. Zuvor hatte die Abtei 60 Jahre leergestanden, denn sie war im Zuge der Säkularisation 1803 aufgehoben worden. Bis dahin hatten dort seit dem 11. Jahrhundert Augustinermönche gelebt, und als sie sich in alle Winde zerstreuten, weil es die Politik jener Zeit so wollte, hinterließen sie ein komplettes, funktionsfähiges Kloster mit relativ jungen Gebäuden, denn in der Barockzeit erst war alles erneuert und im Geschmack der Zeit ausgestattet worden. Nicht alle Klöster, die säkularisiert wurden, hatten solch ein Glück wie Beuron und kamen in gute Hände. Es ging nämlich in den Besitz des Fürsten Hohenzollern-Sigmaringen über, und der machte nicht etwa Scheunen und Viehställe aus den klösterlichen Räumen, sondern bewahrte sie im wesentlichen in ihrer ursprünglichen Gestalt.
Und dann kam es in der Geschichte Beurons zu einer der faszinierenden Grundkonstellationen, bei der eine Idee oder ein Traum zur Reife kommt und die Protagonisten zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Benediktinertum in Deutschland so gut wie erloschen. Nur in Bayern gab es zaghafte Neuanfänge, doch Beuron gehörte seinerzeit zu Preußen und befand sich noch in Wartestellung. Und genau darin befanden sich auch zwei Mönche in Rom, die aus Bonn stammenden Brüder Maurus und Placidus Wolter.
Sie waren durchdrungen von dem Gedanken, einen neuen Zugang zu eröffnen zum originär mönchischen Leben. Ein Vorbild hatten sie bereits: es war die damals auch noch junge, weil 1833 wiederbesiedelte Abtei von Solesmes an der Sarthe.
Auch Solesmes war da schon an die 800 Jahre alt und bewährte sich nun plötzlich als eine der Keimzellen der benediktinischen Renaissance in Europa. Eine andere Keimzelle sollte Beuron werden. Nachdem nämlich die Brüder Wolter in ihrer Heimatstadt Bonn vergeblich nach Klostermöglichkeiten gesucht hatten, kamen sie in Rom in Kontakt mit der Fürstin Catherine von Hohenzollern-Sigmaringen, und diese ermöglichte es dann, daß in Beuron 1863 neues klösterliches Leben beginnen konnte, diesmal mit Benediktinermönchen. Zwar hatten diese noch eine Bewährungsprobe im Kulturkampf zu bestehen, und es mutet nahezu komödiantisch an, daß einige Mönche verkleidet als Diener der Fürstin auch diese Zeit an Ort und Stelle überstehen konnten. Jedoch, schlußendlich, reüssierte die neue Gründung an der Donau von Grund auf und wurde zum Ausgangspunkt vieler anderer Klöster in Deutschland, Österreich und Tschechien.
Im Zeichen der Tradition, auf der Höhe der Zeit
Was in Beuron passierte, lag förmlich in der Luft zur damaligen Zeit, die gesellschaftlich-politisch vom materialistischen Zweckdenken, vom Positivismus und profanen Fortschrittsglauben geprägt war. Aber im Geistesleben brodelte es schon länger, und die Romantik hatte einen Vorgeschmack gegeben auf die Phänomene, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Kunst und Dichtung sich Bahn brechen sollten. Rückgriffe in Inhalt und Form auf das Altertum gehörten ebenso dazu wie die Gestaltung des Lebensraumes als Gesamtkunstwerk.
Und es kann nicht verwundern, wenn das auch bei den Benediktinern eine Rolle spielte. In Beuron ging es darum, Mönchtum in erneuerter Weise auf klassischer Grundlage zu leben. Doch die Ausdrucksformen entwickelten sich durchaus avantgardistisch, waren auf der Höhe der Zeit oder dieser sogar voraus. Offenbar gab es gerade dort in dem abgelegenen Tal der Donau eine ideale Voraussetzung, um die Künste blühen zu lassen, nämlich den Zauber und Schwung des Neuanfangs.In der Liturgie sang man den in Solesmes neu entdeckten Gregorianischen Choral, und so wurde Beuron zum damaligen Zentrum für den Choralgesang in Deutschland.
Und prägend für Beuron wurden bildende Künste, Malerei und Goldschmiedekunst – initiiert durch Pater Desiderius Peter Lenz, der schon vor seinem Klostereintritt als Bildhauer gearbeitet hatte. Ihn faszinierte die Strenge und hieratische Aussagekraft der ägyptischen Kunst mit ihrer strengen Symmetrie und Flächigkeit. Genau das schien ihm geeignet, die Intention der Mönche mit ihrem Streben nach Strenge und Ernsthaftigkeit künstlerisch auf Räume, Bilder und Gegenstände des liturgischen und klösterlichen Gebrauchs zu übertragen.
Weitere Künstler fanden sich in Beuron ein und wurden Mönche, unter anderem der niederländische Maler Willibrord Verkade. Die Beuroner Kunstschule wurde zur sakralkünstlerischen Avantgarde mit internationaler Wirkung. Der Kunsthistoriker Hubert Krins, heutiger Kurator des faszinierenden Beuroner Kunstarchivs, verweist darauf, daß kaum eine andere Kunstschule der Moderne so lange – von 1870 bis 1930 – bestanden habe.
Anregend zu Leichtigkeit, Ernst und Hingabe
"Atelier der Seele", dieser von dem Kunsthistoriker Timothy Verdon entliehene Begriff paßt auch gut auf die Erzabtei Beuron. Ein solches Atelier ist dort wirklich entstanden – innen wie außen. Vieles andere außer der Beuroner Kunstschule konnte auch gedeihen an geistiger und materieller Kultur, vor allem in der Theologie. Der Erzabt von Beuron, Tutilo Burger, ist realistisch, wenn er feststellt, daß heute vielleicht die Kräfte zu so vielfältigem Schaffen nicht mehr so umfassend seien bei abnehmender Zahl der Mönche.
Dennoch ist Beuron weit entfernt davon, ein Museum seiner eigenen Geschichte zu sein. Ein stattlicher Konvent lebt dort mit vielfältigen Aufgaben. Theologische und philologische Forschung wird nach wie vor auf hohem Niveau betrieben, und der Beuroner Kunstverlag gibt mit der Zeitschrift "Erbe & Auftrag" eine der wichtigsten theologischen Zeitschriften Deutschlands heraus. Der Alltag der Mönche vollzieht sich in Räumen, welche die Spannung zwischen barocker Allegorie und Beuroner Symbolik in sich tragen. Der Abt formuliert es kurz: "Faszinierend zwischen Liebe zu Licht und Helligkeit im Barock und monastischer Strenge im Beuroner Stil, anregend zu Leichtigkeit, Ernst und Hingabe." Letztere beseelte die Neugründer Beurons ganz sicher und kann noch heute an diesem Ort gefunden und gewonnen werden.
Martin Erdmann